Freak out it’s a democracy

Gerade eben sind mindestens 16 Menschen vor der Küste Nordzyperns ertrunken. Während die Politik, die ihr gerne seht und hört, weiter um eine europäische Lösung für die Flüchtlingsverteilung ringt und Horst I. von Bayern, den ihr nur noch sehr sehr schwer ertragen könnt,  Alleingänge propagiert, ertrinken die Menschen auf dem Mittelmeer auf eine unerträgliche Art und Weise vor laufenden Kameras. Es ist an der Zeit zu fragen, warum eigentlich nur diejenigen, die das Sterben einfach so in Kauf nehmen, in einer One-man-show performen. Es ist an der Zeit abzuwägen, ob die Demokratie an sich – wie auch immer ihr sie definieren wollt – ein Teil des Problems ist.

Dick und Doof und very fancy

Habt ihr euch schon oft gefragt, wie zum Himmel es passieren konnte, dass ausgerechnet die größten Deppen in die mächtigsten Positionen gelangt sind? Wie Dick und Doof plötzlich so fancy geworden sind? Warum ausgerechnet der faulste Typ der Welt einen der lukrativsten Posten errungen hat? Wie augenscheinlich gerade die, denen ihr das nie zugetraut hättet, mehrheitlich gewählt worden sind? Zeichnet sich die politische Elite für euch seit geraumer Zeit durch ein hohes Maß an Geisteskrankheit ohne Bekenntnis zur Krankheit aus? Durch etwas Wirres, Irres, womit ihr euch nicht (mehr) identifizieren könnt? Nix gelernt aus Weimar? Wer sind die aktuellen Totengräber*innen der Demokratie? Die Erklärung für die politischen Großereignisse, die ihr gerade live miterlebt, wird Zukunfts-Historiker*innen der nächsten Jahrzehnte sichere Jobs verschaffen. In der Vergangenheit zu wühlen, um herauszufinden, warum die Demokratie immer wieder Politiker*innen mit Allmachtsfantasien groß rauskommen lässt, bringt euch bei der Frage „Aber warum?“ nur wenig weiter? Schaut doch mal in die Gegenwart, bottom up. Stellt die Frage, wie geht’s dir, liebes demokratisches Gesellschaftssystem? Bist du gesund?

Primus inter pares

Wer von euch glaubt noch, dass es bei politischer Postenvergabe darum geht, wer am besten geeignet ist? Eine solche Suggestivfrage würdet ihr vielleicht rein intuitiv sofort mit einem Schulterzucken und Augenrollen mit „Niemals, niemand, natürlich nicht, es geht um etwas anderes!“ beantworten. Weil ihr ja wisst, dass es um Netzwerke geht, um Beziehungen, Vitamin „B“ (- sagt ihr das heutzutage noch, oder ist das zu postmodern, besser public relations, human ressources)? Trotzdem bleibt bei euch das Gefühl, doch daran festzuhalten, als eine Art von Glauben, wenn Politik eure Religion ist, dass es genau darum geht, den Einen oder die Eine fürs Ganze zu wählen, den Besten oder die Erste unter Gleichen. Der oder die euch das Gefühl gibt, dass ihr das das oben selbst sein könnten, einer oder eine, die mit euch auf einer Stufe steht und nur deswegen überall das wiederholt wird, was er oder sie zu sagen hat, weil ihr das ja auch schon immer so gesagt habt und nicht alle gleichzeitig und durcheinander sprechen können. Bei der SPD sollte das Martin Schulz werden, ihr wisst, dass das mit Nahles endete und ich verweise an der Stelle auf den zweiten Absatz im Blog. Bei den Grünen verkörpert das gerade mit Leib und Seele Robert Habeck, der selbst das Herz der Grünen-Fundis erwärmt, der Primus, an dessen Lippen selbst alteingesessene Hardcore-Realos kurz die Stricknadeln innehaltend, schmachtend, schmatzend und leise sabbernd hängen wollen. Weil er gut reden kann. Alle die, die den Großen Traum träumen, fühlen sich von Roberts geballter verbaler und physischer Attraktivität  mitgenommen. Er ist die perfekte Projektionsfläche für alle, die einen politischen Traum von Demokratie leben, die Gutes erreichen wollen und das am liebsten selbst. In der Zeit vor Facebook gab es einmal ein bundesweites Studierenden-Netzwerk namens studivz. Dort konnte mehreren Gruppen beigetreten werden, die in Hinblick auf die intellektuelle Elite des Landes aussagekräftige Titel hatten, wie „Master of Desaster“, „Wer früher säuft ist länger voll“, „Ich glühe härter vor als du Party machst“ oder „Jeder Topf hat einen Deckel, aber ich glaub‘, ich bin ein Wok“. Eine weitere Gruppe mit dem Titel „Brauche einen großen Balkon, damit ich zum Volk sprechen“ kann, erfreute sich einer überraschend hohen Mitgliederzahl im hohen sechsstelligen Bereich. Für erstaunlich viele Menschen scheint zu einem Traum von Selbstverwirklichung zu gehören, große Reden halten zu dürfen. Ein Robert zu sein. Kennt ihr nicht diesen Gänsehautmoment, wenn eine richtig gute Rede gehalten wird? Die euch zu Tränen rührt? Das Herz rast ein bisschen schneller, der Blutdruck steigt. Ihr wollt laut „Ja Mann!“ rufen oder „Bravo“, wie nach einem guten Konzert, klatschen, aufspringen, gesehen werden, mitgenommen werden, Teil des Ganzen werden, Teil von diesem politischen Statements, das ihr lange Zeit schon gedacht, gefühlt habt und jetzt durch diese Rede in Worte manifestiert worden ist. Das Richtige plötzlich ausgesprochen mit einer mitreißenden Leidenschaft. Habt ihr euch auch schon oft in eine solche Person gebeamt? Die vor einem großen Publikum steht – bzw. in modern times in der Mitte des Raums steht, um die Augenhöhe zu behalten, und mit Kopfmikro spricht, wie Helene Fischer beim Konzert -, andere durch Worte bewegt und am Ende der Rede eine Welle des Applauses und stehende Ovationen erhält? Träumt ihr manchmal den Traum so gut reden zu können wie Martin Luther King, Michelle und Barack Obama? Willkommen im Club! Eure Vorbilder sind die Folie für euer Verhalten in Bezug auf Menschenrechte, auf Menschenwürde, auf Toleranz und Respekt. Ihr lebt und braucht diese Verhaltensmuster, weil jeder das braucht. Die Herausforderung, der Umkehrschluss besteht nun in der Überwindung der kognitiven Dissonanz, darin herauszufinden, was in denen vor sich geht, die Teil der AfD werden wollen, die applaudieren, wenn Markus Söder spricht. Denn wer glaubt, politische Posten gehen mit Kompetenz einher, der oder die irrt gewaltig! Markus Söder zu nennen, wenn wir über die politischen Eliten dieser Welt sprechen, birgt natürlich einen logischen Reihenfehler: Denn, wenn in einem Intelligenztest die Worte Europa, Welt, Bayern, Freihandel, und Markus Söder in einer Reihe stünden, wäre Söder der Logik folgend durchzustreichen, weil für ihn die Welt eine Scheibe ist und sich im Westen bis Ulm, südlich bis zum Schloss Neuschwanstein, im Osten entlang der Donau bis nach Passau erstreckt und im Norden kurz hinter Ingolstadt endet. Aber er ist ein gutes Beispiel, weil ihr sofort versteht, was gemeint ist, wenn von Voll-Freaks in der Politik die Rede ist. Habt ihr also schon einmal versucht, nachzuvollziehen, was in einem Menschen vorgeht, der bei der AfD Mitglied werden will? Haben die auch diese Sehnsucht nach der großen politischen Bühne in sich, träumen sie auch diesen Traum von der guten Rede nur mit Vorbildern wie Hitler oder Goebbels? Geht denen das Herz auf, wenn Seehofer sich freut, weil Geflüchtete ertrunken sind? Kann das wirklich sein? Und warum können die dann so erfolgreich sein? Eigentlich ist es euch sowas von wurscht, was die denken, aber da ist die vage Vermutung in euch, spätestens seit den Pegida-Rufen „Wir sind das Volk!“, dass das Phänomen der Neuen Rechten ein Teil der echten Demokratie sein muss. Versteht es bitte richtig, „Wir sind das Volk!“, diese Rufe der Bürgerrechtsbewegung der DDR, die haben euch getroffen. Gingen euch durch Mark und Bein. Diese Beschmutzung und Enteignung der Rufe einer der wichtigsten sozialen Bewegungen des 20. Jahrhunderts durch den fiesen rechten Mob. Und das stinkt euch! Und wie so oft, sagt ihr, bevor ihr politisch unkorrekt gegen die Demokratie als Staatsform wettert, lieber gar nichts. In einem Interview in der Frankfurter Rundschau von letzter Woche mit einem Aussteiger aus der rechten Szene werden genau die Folien für das eigene Verhalten angesprochen, der Minderwertigkeitskomplex des rechten Mannes aus dem Volk, der einfach nur Angst hat. Hannah Arendt hat bereits geschrieben, „die eigentiche Gefahrenquelle ist immer das gemeine Volk“ schreibt  (Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 17. Auflage 2014, S. 73). Dann, wenn die Rechten „Wir sind das Volk!“ rufen, hat die Demokratie einen richtig fiesen Krupphusten – und der ist chronisch. Je europäischer die einen argumentieren, desto nationalistischer werden die anderen, die mit der Demokratie als Staatsform kokettieren, sie missbrauchen und ihr letztlich eine tödliche Dosis Rechtsextremismus verpassen. Aber, nicht nur die sind das Volk, ihr seid auch das Volk und jetzt ist Freakkompetenz gefragt.

Freak-Kompetenz

Freaks sind Teil des demokratischen Geschehens, es ist gut, dass sie mitmachen dürfen. Hat man euch auch mal gesagt, als ihr andere danach gefragt hat, wie ausgerechnet diese Person den einen Posten bekommen hat: Alle Büros, grassroots-Bewegungen, NGOs, die UNO, politische Parteien im Besonderen und andere  Zusammenschlüsse von Menschen, die im Glauben stehen, inhaltliche Gemeinsamkeiten zu haben, ihre sogenannten „Ziele“, sind magnetische Anziehungspunkte für Menschen mit verhaltensoriginellen Absonderlichkeiten. Bleiben wir bei den Parteien, weil es deren Mitgliedschaft bedarf, um die politische Weltordnung ins Wanken zu bringen. Alle Söders, Orbans, Dobrindts, Trumps, Salvinis und Erdogans dieser Welt haben mit einem Mitgliedsantrag begonnen. Welche Voraussetzungen müssen geschaffen sein, damit eine Person sich aufrafft, Mitglied einer politischen Partei zu werden? Erstens braucht die Person Zeit, zweitens Geld und drittens irgendeinen persönlichen Vorteil, der später von den Schlimmsten immer als ein „ich kann gar nicht anders als politisch zu sein“ inszeniert wird.

Zeit, weil viel freie Zeit in politische Gremienarbeit gesteckt werden muss, um überhaupt einen Überblick über bestehende Strukturen zu bekommen. Geld, weil die Zeit in der Politik immer ehrenamtlich und damit unbezahlt beginnt. Aktive Parteiarbeit muss sich die Person also leisten können. Der persönliche Vorteil, die beschönigte Selbstverwirklichung, bleibt bei vielen Menschen oft im Verborgenen. Leider kommt es bei den meisten politischen Parteien in Deutschland eher nur so semi-gut an, wenn ein potentielles Neumitglied hereinspaziert und sagt, „Hey, bei der nächsten Wahl, wäre ich gerne euer Gesicht für die Plakate und würde voll gerne Karriere machen!“. Und für viele muss da mehr Identifikation mit den Inhalten her als ein „Ich würde gerne mein Referendariat in meiner Heimatstadt absolvieren, dafür brauche ich Sozialpunkte, jetzt kann ich entweder heiraten oder bei euch mitmachen. Ich habe mich für euch entschieden.“ Dass das so ist, zeigt die Quote an Lehrer*innen und Jurist*innen in Kommunalparlamenten und weiß eh jede*r. Weil Ehrlichkeit aber für die Aufnahme in eine Partei hinderlich sein könnte, wird dieser dritte, wichtige Punkte häufig vertuscht und zwar mit viel Pathos, laut und mit viel Engagement. Das finden alle toll und wählen lieber jemanden so Engagierten als diejenigen, die sich schon lange leise abrackern. Soll vorkommen. Um diese Vertuschungsnummer aufrecht zu erhalten, laufen die dahinter stehenden Personen besonders heiß. Und orientieren sich an den geliebten Vorbildern der ausgewählten Partei. Jetzt ist es keine große Kunst, in einem Ortsverband einer Partei schnell einen Posten zu erhaschen, weil die meisten froh sind, überhaupt die Vorstandsposten oder die Listen voll zu bekommen. Posten sind schneller verteilt als Mitgliedsanträge unterschrieben. Nun passiert es, dass hierbei Verhaltensoriginelle gewählt worden sind. Und wer von euch kennt sie nicht, die Freakquote in den Kreis- und Landesverbänden? Kommen dazu noch Sitzfleisch, eine relative Arbeitslosigkeit, viel Meinung und wenig Ahnung, so kann dieser neue Posten bei den Frisch-Freaks zu einem beeindruckenden Selbstbewusstsein führen. Da reicht eine kurze Zeit aus und die Bestätigten greifen aus dem Ehrenamt heraus in bezahlte Positionen. Geltungsdrank, Narzißmus, zu viel Zeit und der Vertuschungsmoment sind Motoren der politischen Umtriebigkeit. Wer bei allem mitmacht, immer dabei ist, schön die sozialen Netzwerke bedient und niemandem durch Kompetenz gefährlich werden kann, ist der am besten geeignete Kandidat für die Politik dieser Tage. Was haltet ihr von dem Vorschlag, diese durchaus in Massen vorhandene Ressource einzusetzen gegen die Autokratie einiger aktueller Staatsmänner, die offenkundig faschistoide Freaks sind, die Nachrichten fake news schimpfen und 9/11 für eine Verschwörungstheorie halten? Mit besseren Freaks gegen geisteskranke Spitzenpolitiker? Mit Autorität, autoritären Regierungschefs entgegenwirken? Kann das ein Weg sein? Nachdem, was aktuell in Washington und im Kreml geschieht, könnte das in der Tat funktionieren. Was bleibt denn sonst noch? Angela Merkel ist kein Freak, die ist Strategien, echte Demokratin, Europäerin. Navid Kermani auch nicht, der ist ein Visionär, der hat aber mit den Freaks gesprochen, die hier gemeint sind und er hat’s vorausgesagt auf Lampedusa 2008:

„Mit oder ohne Zustimmung […]

Wie ist es mit anderen Flüchtlingen, die heute nacht auf Booten unterwegs waren? frage ich: Gibt es eine Chance, daß jemand den Sturm überlebt hat? Der Kapitän denkt nach und sagt dann: Null Prozent. Als ich nach FRONTEX frage, bricht es beinahe aus ihm heraus: Wenn ich ein Holzboot mit fünfundsechzig Menschen auf dem offenen Meer sehe, dann ist mir FRONTEX scheißegal, dann denke ich nicht an Immigration, an Papiere, an Zollbehörden. Dann rette ich sie, verdammt noch mal. Für ihn als Kapitän […] stehe das Seerecht über etwaigen Verordnungen der Europäischen Union, er dürfe also gar nicht anders handeln.“

(Navid Kermani: Ausnahmezustand, 2. Auflage 2013, S. 249.)

Während Angela Merkel als gewählte Kapitänin der Bundesrepublik Deutschland die Folie bedient, an der sie ihr demokratisches Verhalten orientiert, sinkt ihr Schiff unaufhaltsam weiter. Wäre Angela Merkel genauso ein Freak wie die anderen, könnte sie eine andere Folie bedienen. Und die Zeiten, dieser Ausnahmezustand, an den wir uns 2018 längst zu sehr gewöhnt haben, sehen einen Folienwechsel vor. Ohne Freakkompetenz kann die Demokratie nicht heilen. Freakkompetenz kann man erwerben und dann performen. Nur kurz. Die Demokratie hält die Freaks aus, weil sie sie offenkundig fördert. Warum sollte die gute Sache nicht davon profitieren, wenn die richtigen Freaks kurs ausrasten. Nur einmal und dann so laut, dass das Echo noch lange nachhallt. Stellt ihr euch auch gerade Angela Merkel als Superwoman vor, die eigenmächtig Entscheidungen trifft? Die einfach eine Flotte losschickt und Menschenleben rettet? Die laut ruf: „Auch ich bin das Volk und das kotzt mich hier total an! Scheiß auf die EU, ich dreh jetzt das große Ding der Menschlichkeit!“ Liberale Freaks aller Länder vereinigt euch, denn ihr seid das Volk! Eure Zeit ist gekommen! Brecht alle Regeln, verzichtet auf Mehrheiten, denn Minderheiten schützt ihr aktuell nur durch Taten! Werft die euch ohnehin schwer zugängliche Diplomatie über Bord und tut, was getan werden muss, damit das Ertrinken und das marktschreierartige Herumlamentieren darüber wer, wieviel, von wem, wann endlich ein Ende hat! Freak out, es ist Zeit!

 

 

 

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