Ein Mann Mitte Ende 60 steht wütend vor mir in der Schlange. Er schimpft laut. Er schimpft und schimpft und schimpft und schimpft. Er ist wütend auf einen Kunden vor uns in der Warteschlange. Der Kunde vor uns ist schon an der Reihe und lässt sich beraten. Der Mann Mitte Ende 60 flucht mit lauter Stimme. Wie lange das denn noch dauert! Das könne ja wohl nicht wahr sein! Dass man so lange warten müsse! Bis man an der Reihe sei! Warum das so lange dauere? Er hat fettige Haare, trägt eine Hornbrille und eine fleckige graubraune Lederjacke. Offenbar hat er es eilig. Während er schimpft, versucht er Blickkontakt mit den anderen Wartenden aufzunehmen. Vergebens. Er schimpft für sich alleine. Wäre der Mann mit den fettigen Haaren geduldiger, wenn der Apotheker Deutsch mit dem Kunden sprechen würde? Ich weiß es nicht. Ich bin sprungbereit. Falls eine rassistische Äußerung kommt, fahre ich ihn an. Ich bin zu langsam. Eine Dame mit Gehstock und zu einem Dutt gebundenen grauen Haaren sagt, er solle sich mal beruhigen. Jeder habe ein Recht auf Beratung. Er grummelt, nuschelt in seine stinkigen Stoppel, schimpft im Stillen weiter. Am nächsten Tag gibt es in einer anderen Apotheke einen Wartesessel. Wieder findet eine Beratung statt. Eine Frau um die 50 schnauft, rollt mit den Augen, schaut auffällig oft auf ihre goldene Armbanduhr. Vor ihr wird eine Frau auf Englisch beraten. Es dauert lange. In der Apotheke bedienen insgesamt vier Personen. Es ist damit zu rechnen, dass es schnell geht. Als die Frau mit der goldenen Uhr an der Reihe ist, bringt sie verbal ihren Unmut zum Ausdruck. Die Englisch sprechende Apothekerin berät am Schalter daneben weiter in aller Seelenruhe. Die Apothekerin beschwichtigt die Frau mit der goldenen Uhr, die Zeit für die Beratung sei wichtig. Viele Kunden wüssten nicht, wie sie die Medikamente dosieren sollten. Beratung, das sei die beste Möglichkeit in der Konkurrenz gegen Internetapotheken. Der Frau mit der goldenen Uhr scheint das egal zu sein, wenn sie irgendwohin gehe, wisse sie, was sie wolle. Sie bestelle künftig online. Ich bezweifle, dass sie das kann. Der Wartesessel bleibt leer. Woher kommt diese unendliche Ungeduld? Diese Zeitknappheit, diese Beschleunigung, dieser andauernde Stress. Krank sein kostet Zeit. Kostbare Zeit. Aspirin complex verspricht uns: Trotz Erkältung voll im Leben! Wirkt sofort! Medikamente prophezeien uns eine schnelle Wirkung. Chrystal Meth wirkt sofort, der Konsum steigt deutschlandweit, europaweit, weltweit.
Geduld versus Ungeduld.
Patience, pazienzia, patientia, die Patientinnen und Patienten sind die Geduldigen. Weil sie warten müssen. Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig. Obwohl Ärzte in Notaufnahmen und Krankenhäusern vermutlich ein Lied über Geduld und Ungeduld unter Patienten singen könnten. Umgekehrt genauso: drei Monate als Kassenpatient auf einen Termin warten, zweieinhalb Stunden im Wartezimmer Illustrierte lesen, zwei Minuten behandelt werden. Warten müssen. Das wird schwerer und schwerer. Wären weniger Menschen in der Apotheke, wäre es schneller gegangen. Gleichzeitig hätten mehr Kunden ihre Medikamente online bestellt und die Apotheke hätte existenzbedrohende Umsatzeinbußen. Weniger Menschen gleich schnellere Beratung gleich Apothekensterben. Weniger Menschen? Wie machen die das bloß in China. Ich frage Google, was Geduld auf Chinesisch heißt. Google spuckt mir 4.410.000 Ergebnisse in 0,22 Sekunden aus: 忍耐 Rěnnài. Aha. In China sind die Schlangen länger, weil es mehr Menschen gibt. In China wurde die Warteschlange optimiert. Das ökonomische Anstehen in edlen Gurtabsperrbändern alias Personenleitsystem wurde in China entwickelt. Das beherrschte Chaos. Optimierte Wartezeiten. Bildschirme mit Newsticker werden hingestellt. Überall gibt es etwas zu kaufen, um sich vom Warten abzulenken. Niemand wartet gerne. Bislang konnte ich jedoch nicht herausfinden, ob Geduld ein Teil des chinesischen Sozialpunktesystems ist. Indirekt vermutlich schon. Wenn man Punkte für soziales Handeln bekommt und damit mehr schöne Gelegenheiten ermöglicht, könnte es dazugehören, dass man sich Zeit für andere nimmt. Trotzdem ist das alles durchleuchtende Sozialpunktesystem im Überwachungsstaat Mist.
High Speed Internet, mobiles Datenroaming weltweit, WLAN in öffentlichen Verkehrsmitteln, Freifunk; Serienjunkies, als erster die neuen Folgen haben, binge-watching, Aussterben der Kinos; Apps zur natürlichen Familienplanung, Fruchtbarkeitstracking, digitale Frühförderapps; Junkfood, Fast Food Restaurant, Schnellimbiss und Slow Food als Gegenbewegung; frühere Einschulung, G8, Bulimielernen; betrinken, wer früher säuft ist länger voll; von 0 auf 100 in 5 Sekunden, Führerschein in zwei Wochen; schnell einen Elitepartner finden, ungeduldige Dates, mobile Dating-Apps, schneller Sex, youporn, schlechter Sex, Tinder … Wir leben auf der Überholspur als gebe es kein morgen und irgendwie kein gestern mehr. Wir Leben auf einem Fließband und wir werden so gut entertaint, dass wir nicht merken, dass wir längst hätten abspringen müssen.
Ich hatte eine esoterisch angehauchte Freundin. Schon vor zehn Jahren hat sie mit dem Schlagwort Achtsamkeit um sich geworfen. Achtsamkeit, mindfulness, Vippassana. Mehr als Meditation unter Anwendung der gleichen Methodik. Auf den Körper hören. Nein, in den Körper hören. In sich selbst hineinhören, die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen. Gleichzeitig die Umwelt anders wahrnehmen. Wenn du in einer Schlange anstehst und da steht ein Baum, schau ihn genau an und dann fühle dich in den Baum hinein, hat sie gesagt. Das ist ein meditatives Training, das du dir schenkst. Du kannst die wenig konstruktive Wartezeit nutzen, um dir Zeit für dich zu schenken. Ich beantworte in der Regel Mails in der Zeit, habe ich ihr gesagt. Sie meinte, nein, solche Zeitfenster solle ich für das Achtsamkeitstraining nutzen. Seit Neuestem sagt mir das auch mein Handy. In der im iPhone vorinstallierten und unlöschbaren Health-App gibt es ein integriertes Achtsamkeitstraining. Mein für meine Bedürfnisse achtsames Mobiltelefon erinnert mich daran, dass ich an bestimmten Tagen noch nicht lange genug achtsam gewesen bin. Es zählt dabei meine Schritte und die gelaufenen Kilometer. Ich vermute dahinter eine Kontrolle meiner persönlichen Daten, die an ein Marktforschungsinstitut weitergeleitet werden, um Produktgruppen zu optimieren, teurer zu machen oder besser zu platzieren. Aus Manipulation wird Inspiration. Aus Profitorientierung wird Kundenorientierung. Aus Angriff auf die Persönlichkeitsrechte wird die Payback-Karte. Achtsamkeit ist längst Bestandteil der Beschleunigungs- und Selbstoptimierungsmaschinerie geworden. Was aber stellt dieses keine Zeit mehr haben mit uns an?
Kurze Überschriften, Videos statt Text, Nachrichtenticker, live-Ticker, wenig Text, viele Bilder. Das alles sind Tipps, die die Facebooknutzung optimieren sollen. Niemand liest einen langen Text auf Facebook, verzichte auf Inhalte, hat man mir auf einer Fortbildung geraten. Das kann langfristig nur zur Folge haben, dass wir schlechter lesen. Wir lesen Überschriften und fühlen uns informiert. Überschriften ersetzen den Inhalt. Dass Überschriften tendenziös sein können, ist egal. Knackige Überschriften stechen brillanten Inhalt. Zum informierten mündigen Bürger, der mitreden kann, wird der Leser von heute durch Überschriften. Wer eben den Newsticker überfliegt, weiß Bescheid. Donald Trump hat sicher irgendwas getwittert, beim Fußball scheidet wieder ein Trainer aus oder der Spieler wechselt zu dem Verein, die GroKo ist zerstritten, der Hambacher Forst wird gerodet oder nicht. Das reicht völlig aus, um Bescheid zu wissen. Details, inhaltlicher Natur, brauchen Zeit, die wir beim Warten in der Schlange, beim Autofahren oder sonst wo, wo wir mal eben ins Internet gehen, nicht mehr haben. Das sind Zeiten, die unproduktiv sind, in denen wir achtsam sein können oder Nachrichten lesen können. Der Newsfeed ist mittlerweile Teil des Achtsamkeitstrainings unserer Smart Phones. Wer sich Zeit nimmt, einen ganzen Zeitungsartikel zu lesen, verpasst den Zeitpunkt, in den sozialen Netzwerken über das angeblich Gelesene informiert zu kommunizieren. Wer sich Zeit nimmt, einen Text ganz zu lesen, kann darüber unmöglich in 280 Unicode-Zeichen kommunizieren. Wer profitiert vom Überschriftenlesen am meisten? Die alternativen Fakten. Achtung, jetzt wird es politisch unkorrekt. Wenn uns Inhalte überfordern, dann siegen die alternativen Fakten. Wen Inhalte überfordern, der wird von Überschriften geleitet. Wem fehlt die Zeit? Berufstätigen; Eltern; denen, die sich gesellschaftlich engagieren würden, wenn sie Zeit hätten; und denen, die keine Geduld haben. Der Mangel an Geduld kann Verblödung zur Folge haben. Nehmen wir als völlig politisch unkorrektes Beispiel den Otto-Normal-Nazi, zum Beispiel aus Chemnitz: Vielleicht hat der Zeit ohne Ende. Vielleicht ist er in einem Job angestellt, der in ihm überhaupt keine Selbstwirksamkeit generiert. Er hätte durchaus technisch gesehen, die Zeit, Inhalte zu konsumieren. Zu lesen. Sich zu informieren. Vielleicht ist er aber so sehr mit dem Selbstbetrug beschäftigt, der ihm suggeriert, dass seine geballte Unzufriedenheit einen ultimativen Widerstand gegen das System darstellt. Vielleicht ist er überzeugt, dass eine übergeordnete Macht, eine für ihn unmöglich steuerbare Instanz, dafür verantwortlich ist, dass sein Leben beschissen ist. Deswegen hat diese fiktive Naziperson X Stress. Sie muss dieses System bekämpfen. Erzählen wir dieser Person in der Apotheke mal, dass sie locker in den Bauch ein- und ausatmen soll, um sich selbst etwas Gutes zu tun. Vor allem dann, wenn ein Arabisch sprechender Kunde von einem mehrsprachigen Apotheker beraten wird. Der Nazi X hat keine Apple Watch, kein iPhone und keine esoterische Freundin, die ihm raten, diese Zeit jetzt für sich zu nutzen. Die ihn daran erinnern, dass der Arabisch sprechende Mitbürger und der Apotheker ihm gerade Zeit für sich schenken. Ein unbezahlbares Geschenk. Die Möglichkeit einer Entspannungstechnik nachzugehen und danach von Glück und gleißendem Licht durchflutet die Welt mit Liebe zu durchströmen. Genau das Gegenteil passiert. Die gestressten Nazis X und Y gründen eine Terrororganisation namens Revolution Chemnitz. Sie haben eigentlich nicht mal Zeit für eine Revolution. Sie haben nicht mal Zeit, die Nachrichten zu lesen, sich richtig zu informieren. Aber sie opfern ihre wenige Zeit um Angst und Schrecken zu verbreiten, nehmen Opfer in Kauf und kämpfen gegen fiktive Feinde. Wie fremdgesteuerte Figuren gegen eine zeitlose Welt. In der sie aber immer noch die Zeit haben, Hassbotschaften im Internet mit einer überbordenden Anzahl an Satzzeichen, die ihren Widerstand zum Ausdruck bringen sollen, zu überfluten. Anstatt einfach mal einen Baum zu umarmen.
Wenn ich irgendwohin gehe, weiß ich doch, was ich will, flucht der Mann Mitte 30 als er seiner Frau erzählt, warum er so spät vom Baumarkt zurückkommt. Vor ihm in der Schlange zum Holzzuschnitt ließ sich ein junger Mann um die 18 beraten. Man kann doch nicht beim Holzzuschnitt planen, wie man eine Küche baut. Das muss ich mir doch vorher überlegen. Der Mann Mitte 30 ist sauer. Er hat kostbarste Lebenszeit beim Warten verloren. Und verschenkt jetzt noch mehr, indem er über den jungen Mann schimpft und schimpft und schimpft. Warum hat der Mann um die 18 so viel Zeit und der Mann Mitte 30 nicht? Ist der Mann Mitte 30 neidisch auf die Zeit des 18-Jährigen? Das ist das Käse- oder Wursttheken-Syndrom, wenn vor einem eine Person bedient wird, die von jeder Sorte eine Scheibe haben möchte. Wer schon mal 15 Minuten an einer solchen Kühltheke verbracht hat, weiß wovon die Rede ist. Die Alternative ist abgepackter Käse oder in Plastik eingeschweißte Wurst aus dem Regal. Und wer schon mal im Stau gestanden hat, weiß noch besser, wovon die Rede ist. Die wohl unproduktivste Zeit sind die Stauzeit oder die Zeit, wenn ein Zug sinnlos in der Pampa steht und niemand weiß, warum er eigentlich nicht weiter fährt. Das ist der Moment, in dem spürbar und für alle sichtbar, die es nicht sehen wollen, Frustration in Aggression umschlägt. Bei allen, die keine Zeit haben.
Es gibt eine Touch ID, weil es zu lange dauert, jedes Mal eine vierstellige Ziffernfolge einzugeben. Es gibt Schulmaschinenschreibwettbewerbe, wer tippt schneller im Zehnfingersystem? Zalando, Amazon Prime, versandfertig in einem Tag, kostenloser Versand, Expressversand, Overnight Express, Lieferando, Lieferheld und Pizza Service – wer schneller liefert, wird gewählt! Siri oder Alexa lesen den Kindern jetzt abends zum Einschlafen vor, weil selbst hierfür die Zeit fehlt. Mr. Wash reinigt das Auto innen und außen in weniger als 30 Minuten! Es gelten Power Naps statt Mittagsschlaf und Kurztrip statt Urlaub. Kann Geduld auch negative Auswirkungen haben? Ja. Alice im Wunderland hätte ihre Abenteuer verpasst, wenn sie das gestresste Kaninchen hätte ziehen lassen.
„Dies war grade nicht sehr merkwürdig; Alice fand es auch nicht sehr außerordentlich, daß sie das Kaninchen sagen hörte: »O weh, o weh! Ich werde zu spät kommen!«“ Im Disney-Film singt das Kaninchen „Grüß Gott und dank auf wiedersehen, muss gehen muss gehen muss gehen.“
Und immer wieder stellt das Kaninchen fest, dass die Zeit rennt, dass es zu spät ist. Ein klassischer Workaholic. Das Kaninchen wird von der Uhr getrieben, wir werden von einer Beschleunigungsindustrie getrieben, die uns in rasender Geschwindigkeit in den letzten Kreis dessen zieht, was Dante Hölle nennt. In den vergangenen Jahren haben Unternehmen zahlreiche Applikationen erfunden, die uns das Leben erleichtern sollen. Haben wir deswegen mehr Zeit? Keineswegs. Eine Postkarte zu verschicken, Brieffreundschaften zu pflegen, Familie zu schreiben, all das hat vor einigen Jahrzehnten Zeit gekostet. Möglicherweise produktive Zeit. Jetzt verschicken wir täglich so viele Emails, dass wir keine Zeit mehr haben, uns auf das Schreiben zu konzentrieren. Muss gehen, muss gehen, muss gehen. Gut Ding will Weile haben, aber was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Ja, wir verpassen Termine, Abgabefristen und ganze Menschen, wenn wir zu spät sind. Wir verpassen den richtigen Moment und es gibt wirklich nichts Ärgerlicheres als den richtigen Moment zu verpassen und damit auch noch konfrontiert zu werden. Wir haben den richtigen Moment verpasst. Wem das schon mal passiert ist, beeilt sich.
Die Zeit ist kein Dieb. Momo und Kassiopeia haben es gewusst. Die Zeit gilt es zu verteidigen. Die Zeit wird gestohlen. Das ist ein passiver Akt. Wir müssen identifizieren, wer die Diebe sind. Wir brauchen eine Zeitpolitik. Zeit für die anderen, Zeit für die Familie, Zeit zum Lesen, Zeit zum Schreiben, zum Zeichnen, zum Rausgehen, Zeit, um auf Bäume zu klettern, Zeit zum Schlafen, Zeit zum gesellschaftlichen Engagement! Zeit für die Einsicht, den Glauben und die Hoffnung, dass die Letzten die Ersten sein werden. Aber Zeit zu haben, muss Mensch aushalten können. Wir wollen Privatsphäre und liken und kommentieren online auf dem Klo. Wir teilen Artikel ohne die Inhalte zu lesen und spotten über online gepostete Rechtschreib- und Grammatikfehler wie Lehrer vor 80 Jahren. Wir gehen joggen und wollen von unserer Health-App daran erinnert werden, dass wir an dem und dem Tag nur 35 Sekunden achtsam gewesen sind. Wir wollen die Umwelt retten und das Klima schützen, können aber den Verkaufsstart vom iPhone X kaum abwarten. Wir wollen Momo sein, aber unser Konto bei der Zeitsparkasse nicht auflösen. Wir wollen ein echtes Umdenken, dass wir mit unserem Smart Phone auf Instagram und Facebook dokumentieren. Wir veröffentlichen den Rückzug ins Private. Wir wollen nichts verpassen und im Baumarkt schnell bedient werden. Wir wollen schneller, effizienter beraten werden und nicht eine sinnlose Zeitlang in der Apotheke rumstehen. Denn offenkundig ist es ein Problem, dass niemand mehr die Zeit mit sich allein aushält. Vielleicht ertragen sie sich nicht mehr. Vielleicht ertragen wir uns nicht mehr. Vielleicht haben die Esoteriker recht und wir brauchen mehr Selbstliebe. Ohne es zu wollen bin ich beim Schrei nach Liebe angekommen. Des Rätsels Lösung wäre mehr Liebe, mehr Korinther, mehr Kirche, die Sex erlaubt, weil Sex Liebe vermitteln kann, also auch mehr Dating und mehr Tinder. Autoaggression, Selbsthass und unendliche Unsicherheit zerfressen die Menschen. Sie halten sich nicht mehr aus. Ihre Geduld mit sich ist am Ende. Bevor man in einer Schlange steht und andere Menschen anschaut, sich die Blöße gibt, zuzugeben, Zeit zu haben, schaut man lieber aufs Handy und liest zum 100. Mal an einem Tag, dass der Hambacher Forst gerodet wird. Und wundert sich, warum das plötzlich so schnell gehen muss. Ist sauer auf RWE und findet, man müsse am 6.10. auf die Demo fahren. Ein Zeichen setzen. Aber dafür hat man ja keine Zeit.