Schwimmbadgeschichten, 6. Kapitel

Die aktuellen Warnungen vor dem Bädersterben und die eigenen Erfahrungen in diesem Heißsommer mit überfüllten Freibädern rufen dazu auf, den öffentlichen Schwimmbädern mehr Liebeserklärungen zu machen. Hier ist wieder eine:

Pura vida

Natürlich gibt es auch privaten Schwimmunterricht im Südbad. Den erteilt Estefani. Mit kurzem, betontem e, kurzem a und kurzem f: Es-te-fani Nicht mit langem e, a und i. So wie ich das zu Beginn falsch ausgesprochen habe. Estefani ist in Costa Rica geboren und hat dort gelebt bis sie sich in Melanie verliebt hat, die an der Uni Regensburg über „Phylogenetische Beziehungen zwischen neotropischen Süßwasserkrebsen der Pseudothelphusidae (Decapoda, Brachyura) und der taxonomischen Position von Ptychophallus und verwandten Gattungen“ promoviert und dafür auf Costa Rica geforscht hatte. Das Thema ist spannend, weil daran erklärt werden kann, was Unterschiede zwischen evolutionären Auswirkungen des Klimawandels und negativen Auswirkungen  des vom Menschen beschleunigten Klimawandels sind, warum Artenvielfalt wichtig ist und Donald Trump nicht alle Tassen im Schrank hat, aber leider versteht das an diesem Beispiel niemand. Ich auch nicht. Ich stelle mir Costa Rica wunderschön, ziemlich klein mit einer stark geschützten Natur und einem einzigartigen Lebensgefühl, das durch die vom Vulkan ausgehende Energie gesteuert wird, vor. In meiner Vorstellung gibt es dort sau viel Botanik und viele Tiere, vor allem Papageie. Gleichzeitig sehe ich vor meinem inneren Auge Bandenkriminalität nach mexikanischem Vorbild, ich sehe mich in einem offenen Jeep durch die Pampa fahren, eine Hand am Überrollbügel, am Steuer, ein Bodyguard, der eine schusssichere Weste trägt, mit Knopf im Ohr und einer P30 von Heckler & Koch. Ich habe bestimmt zu viel Dickie Dick Dickens gehört und stelle mir deswegen auf Costa Rica auch ein lateinamerikanisches Sing Sing vor. Estefani habe ich in einer Bürgerinitiative kennengelernt, die ich vor ein paar Jahren in einem Anflug von gesellschaftlichem Engagement gegründet hatte. Wir hatten uns dafür eingesetzt, dass es einen Strand an einer zentralen Lage am Fluss geben solle. Das Baden im Fluss sollte legalisiert werden. Ich muss an dieser Stelle auch zugeben, dass ich all den mit dem Schwimmbad verbundenen Ekel erst seit dem Scheitern dieser Initiative ausblende. Das Ausblenden ist aus der Not eines Mangels an Alternativen, wie dem Baden im Fluss, geboren. Außerdem hatte mir Estefani klar gemacht, dass das Südbad, wo wir uns seitdem regelmäßig über den Weg geschwommen sind, einem hygienischen Qualitätsstandard entspräche, von dem man in Lateinamerika nur träumen könne. Ihre pauschale Abfertigung lateinamerikanischer Schwimmbäder kam mir zwar spanisch vor, aber ich erinnere mich an ein öffentliches Bad in Bariloche: Direkt neben dem See Nahuel Huapi, mit wirklich paradiesischem Panorama, als Freibadanlage mit Bahnen parallel zu den Bergen und Gletschern sprang ich dort nach erstaunlich gründlichem medical check, der vor dem Betreten der Badeanstalt nötig gewesen war, ins türkisblaue Wasser und bin halb erfroren. Zu spät habe ich die erschrockenen Blicke der einheimischen Schwimmerinnen und Schwimmer richtig gedeutet, die stumm gebrüllt hatten: „No las hagas!“ Das Schwimmbadwasser war einfach aus dem Gletschersee in ein gefliestes Becken umgefüllt worden und genauso kalt wie das Eiswasser des Sees. Bitterkalt. Sogar für mich zu kalt. Warum diese Freibadanlage dennoch so gut besucht war, habe ich bis heute nicht verstanden. Wie auch immer, der Fluss in unserer deutschen Pleitestadt ist im Sommer definitiv wärmer als der Gletschersee, die Gutachten, die die hervorragende Wasserqualität bestätigten, prognostizierten bis zu 20° Celsius Wassertemperatur. Wir wollten, dass Jung und Alt im Sommer dort Baden können. Im Moment sind an der Stelle, die wir vorgesehen hatten, Grillplätze und diese werden vor allem von Leuten ohne Garten und von türkischen Familien nachgefragt. Wir Multikulti-Verfechterinnen hielten es wie ein Großteil der Stadtgesellschaft für eine Superidee, dort Begegnungsräume zu schaffen. Die türkischen Vereine der Stadt hatten wir sofort als Mitinitiatoren dabei. Estefani war damals Vorsitzende eines FKK-Clubs in der Stadt mit einer ziemlich großen und vor allem reichen Lobby. Der Club speiste sich aus Lionsclub-Mitgliedern, vielen Golf Club members, darunter viele renommierte Ärzte, und Mitgliedern eines Spa- und Wellness-Clubs, der als Tennisverein getarnt war. Ferner haben wir dank der örtlichen Gleichstellungsstelle eine Gruppe von Vegan-Grill-for-fit sowie den Weber-Grill-Freundeskreis e.V. für unser Anliegen gewinnen können. Die Gleichstellungsstelle der Stadt hat erkannt, dass zwischen Klima- und Frauenpolitik ein Zusammenhang besteht. Da gab es die Feststellung, dass vor allem die Gesundheit alleinerziehender Frauen durch die zunehmende Feinstaubbelastung gefährdet sein, weil diese Zielgruppe meistens an Hauptverkehrsstraßen wohnte, wo eine besonders hoher Wert gemessen werden konnte. Viel trivialer war die Feststellung, dass es nichts brächte, wenn in heterosexuellen Partnerschaften die Männer Billigfleisch verzehrten, für dessen Aufzucht riesige Futtermittelflächen in Afrika sowie unsäglich viel Wasser benötigt werden, während die Frauen die Joghurtbecher spülten. Die Gleichstellungsbeauftragten der Stadt haben also bei der jährlichen Grillauftaktveranstaltung „O‘grillt is!“ vor der lokalen Stadthalle den Vorsitzenden des Weber-Grill-Freundeskreis e.V. angesprochen, ob die nicht Interesse an einem Werbeflyer mit veganen Grillideen hätten. Die Gruppe Vegan-Grill-for-fit, die sich in regelmäßigem Turnus zum Rezeptaustausch mit Grillevent traf, hatte sich bereiterklärt mitzuwirken und hat zusätzlich bei der Ausarbeitung auf regionale und saisonale Produkte geachtet. Der Vorsitzende des Weber-Grill-Freundeskreis e.V. war zwar immer noch skeptisch, ob gegrillt Schwarzwurzel wirklich ein kulinarischer Genuss werden konnte, aber in Rücksprache mit einem Außendienstmitarbeiter der Firma Weber kamen beide zu dem Entschluss, dass so eine neue Zielgruppe gewonnen werden konnte. Zusätzlich haben wir ein Jugendforum durchgeführt. Der eigentliche Grund lag darin, dass die Stadt eine Charta der Kinder- und Jugendbeteiligung zur Demokratieförderung unterschrieben hatte und deswegen solche Alibiveranstaltungen durchführen musste. Klar wollten alle Jugendlichen ohne Ausnahme, dass hier ein Badestrand entsteht. Niemand konnte dagegen sein. So war es auch. 658 teilnehmende Jugendliche sprachen sich einstimmig für die Idee aus und sammelten eifrig Unterschriften, um das Gelingen der Initiative voranzubringen. Die Dynamik war so großartig und überraschend konstruktiv für einen Zusammenschluss aus Leuten mit so unterschiedlichen Interessen. Der Druck auf die Lokalpolitik war folglich so hoch, dass auch hier ein einstimmiger Ratsbeschluss erwirkt werden konnte. Gescheitert ist unsere Initiative also weder an der breiten Unterstützung von vielen, die eigentlich auf den ersten Blick nicht zusammengehörten, noch an der Vielfalt der Interessen oder der Unterstützung durch Verwaltung, Politik und Sportservice. Aber das ganze Unterfangen war ein Paradebeispiel dafür, wie schnell Bürokratie und Demokratie in Deutschland –, dem Land, in dem ohne Urkunde niemand sterben durfte, – gute Ideen im Sande verlaufen lassen konnten. Weil sich die naturschutzrechtliche Befreiung verzögert hatte, die für die wasserrechtliche Genehmigung notwendig war, konnten zwar die notwendigen Gehölzschnitte und Fräsarbeiten trotz des Frostes durchgeführt werden, aber das Entfernen von im Wasser liegenden Schüttsteinen hätte außerhalb der Schutzzeit erledigt werden müssen, was verboten gewesen wäre. Diese Schutzzeit dauert fast das ganze Jahr an, so dass die Schüttsteine frühestens in zehn Monaten hätten wieder entfernt werden dürfen. Nach den Gehölzschnitten zeichnete sich bereits ab, dass es einen unbegründeten, aber massiven Widerstand eines Anwohners geben würde. Dieser Anwohner, ehemaliges Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, der der Ökobewegung den Rücken kehrte, sobald er einen Job im Sparkassenvorstand erhalten hatte, hängte an ein hölzernes Kreuz eine Warnung davor, dass diese Gehölzschnitte den Tod des Eisvogels und der Artenvielfalt brächten. Die Badestelle würde zu mehr Müll, mehr Autos, mehr Lärm und mehr wilden Grillstellen führen. „30×40 Meter zerstörte Natur mit Sondanschüttung“, ich tippe, er meinte „Sandanschüttung“. Dazu stand noch, dass die Stadt zwar kein Geld für ein richtiges Schwimmbad habe, aber für Millionen hier ein billiges Freibad errichten wollte. Lassen wir die sich widersprechenden Argumente mal dahingestellt. Er hatte nicht recht. Die Herstellung der Badestelle würde die Stadt 150000 € kosten, was in Relation zum Haushaltsloch von klaffenden 35 Mio € doch Peantus waren. Aufgrund dieses Schildes, das als Schreiben auch an die Kommunale Aufsichtsbehörde geschickt wurde, wurde in einem ersten Schritt ein Ortstermin mit der hiesigen Bauaufsicht vereinbart. Klar war, was hier entsteht, musste rechtlich niet- und nagelfest werden. Das Treffen mit der Bauaufsicht war vielversprechend, denn endlich sah es so aus, als käme Bewegung in die Badestelle. Alle Beteiligten der Bürgerinitiative waren in die Planung eingebunden, es sollten Komposthaufen entstehen, Intimwaschzonen, Umkleidekabinen, Rindenschrottoiletten, ein kleiner Trimdichpfad und die Firma Weber wollte Holzkohlegrills in Festbauweise sponsorn, wenn es dort auch eine mobile Verkaufssäule mit WLAn gebe, in der Interessierte alle Produkte von Weber bestellen konnten. So weit so gut. Der Traum von Toilettenhäuschen, Geräteschuppen für Badespielzeug und andere Schwimmutensilien platzte dann aber an den weiteren Prüfungen, in die sich das  Tiefbauamt einmischte. An Ort und Stelle befanden sich zu diesem Augenblick schon Dixie-Klos. Bei der Prüfung durch das Tiefbauamt jedoch stellte sich heraus, dass diese Dixie-Klos seit Jahren verbotener Weise dort aufgestellt waren. Der Grund: Sie standen unter einer Brücke. Dixie-Klos unter Brücken sind in Deutschland verboten. Unter deutschen Brücken dürfen keine entflammbaren Gegenstände stehen. Dixie-Klos sind entflammbare Gegenstände. Die bis dato dort ansässigen Dixie-Klos mussten also abmontiert werden. Es wurde durch den städtischen Sportservice sowohl für die zukünftige Badestelle als auch für die Grillanlage Bauanträge für neue Dixie-Klos und fahrbare Toiletten gestellt. Für die jetzigen Aktivitäten gab es aber ab diesem Prüfzeitpunkt keine sanitären Provisorien mehr. Die Leute konnten jetzt also zwar grillen, mussten aber zum Pinkeln und Kacken in die Wildnis des Naturschutzgebiets und das Baden war immer noch verboten. Wir gingen langsam aber sicher rückwärts. Das Badegewässerprofil wurde zwischenzeitlich abgestimmt und vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz ohne Beanstandungen geprüft. Immerhin. Gescheitert ist das Ganze dann am Lärm. Die Nachbarin des Mannes mit dem Holzkreuz, die gegenüber der auserkorenen und auch von der Stadt als positiv geprüften Stelle wohnte, klagte ein Lärmgutachten ein. Eine Rassistin, bei allem Respekt, die den Migrantinnen und Migranten den Kebab nicht auf dem Grill gönnte. Sie hat mit Klagen und Akteneinsichtsforderungen das Verfahren konterkariert. Sie wohnte an einer der meist befahrenen Straßen der Stadt und fühlte sich durch grillende Menschen gestört. Unfassbar, aber wahr. Es standen sie und er, also zwei, gegen mindestens 658 Jugendliche plus die Mitglieder der Bürgerini und Tausende, die für die Badestelle unterschrieben hatten. Wir versuchten noch mit verschiedenen Protestaktionen – Estefani ist unter anderem Femen-Aktivistin, sie ließ sich nackt mit erhobenem Schild „#free river swimming“– das Ruder rumzureißen, aber erst einmal ohne Erfolg. Mein Durchhaltevermögen und Ehrgeiz haben mich irgendwann im Stich gelassen. Deswegen bin ich vielleicht in Estefanis Ansehen gesunken, aber das weiß ich gar nicht genau.

Estefani begrüßt die Schwimmkinder singend. Sie steht in der Mitte, die Kinder bilden einen Kreis um sie herum. Alles, was sie sagt, ist eigentlich gesungen. Sie singt in ihrem spanischen Dialekt „Hallo, hallo, schön dass du da bist. Hallo, hallo, schön, dass es dich gibt!“ Wie sie das h in „Hallo“, einfach umwerfend. „Jetzt alle winken“, wirft sie rein, verschleißt und verschleppt sämtliche Laute, so das nach einem großen Nuscheln klingt und singt weiter: „ Die Hacken und die Spitzen, die wollen nicht mehr sitzen. Macht ihr mal jetzt tippen vom Boden Hacken und Spitzenzehen von rechts Fuß auf vorne. Die Fersen und die Zehen, die wollen weiter gehen. Macht ihr mal Gleiches mit links Fuß. Wir machen eine Harmonikaziehen tschintscherassa, tschintscherassa bumm bumm bumm“. Die Kinder wissen sehr gut, was zu tun ist und planschen sich in die Kreismitte zu ihr und wieder zurück an ihre Stelle im Kreis.

Der Einzelunterricht wird von David Hasselhoff persönlich erteilt und niemals brauchen so viele Kinder Einzelunterricht wie bei diesem MANN angemeldet sind. Einzig das rote Rettungsplastik fehlt ihm ansonsten sind alle Kriterien eines echten Baywatch-Rettungs-Mitch-Buchannons erfüllt. Die Mütter himmeln ihn an. Ihr Kind könnte neben ihnen ersaufen, sie würden immer noch schmachtend am Rand mit leicht geneigtem, den Hals freilegenden Kopf eindeutige Botschaften an Südbad-Mitch senden: „Beiß mich!“, „Nimm mich!“, „Brenn mit mir durch!“, „Komm wir verlassen die Stadt und brennen durch!“, „Tu was, egal was, aber tu irgendwas!“.

An einem Tag waren sie alle vereint, denn die Homepage des Südbads sollte auf Vordermann gebracht werden. Willkommen im 21. Jahrhundert, es lebe das Internet! Laden wir munter und fröhlich Fotos von halbnackten Kindern hoch, beknackte Idee, aber natürlich hatte ich schon wieder nicht die Eier, zu intervenieren, auf die Gefahren des Internets hinzuweisen und zu veranschaulichen, dass es Kindern möglicherweise in ein paar Jahren peinlich sein könnte, dass sie da im Lillifee-Badeanzug stehen, neben einem aufblasbaren Einhorn. Dass ein solches Foto in einer hochpubertären Zeit eine suizidale Phase auslösen und die Einnahme von Lithium erforderlich machen könnte, ersparte ich mir und schwamm meine Bahnen weiter. Die zu diesem Zeitpunkt anwesende Bademeisterin war dafür zuständig, die widerspenstige Meute für ein perfektes Homepagefoto zu arrangieren. Mitch schien ziemlich genervt von diesem Treiben, aber er sähe auch auf dem Klo sitzend wie ein Top-Männer-Model für Muttis aus, diese Muskeln konnten nicht entspannen, sie sahen hart wie Stahl aus. Estefani hingegen hatte extra einen Badeanzug angezogen, bei dem man alles sehen konnte. Der Po war nur durch ein winziges Seil bedeckt, dass durch ihre wirklich prallen Pobacken verschlungen wurde und an der Stelle der äußersten Wölbung des Pos überhaupt nicht mehr sichtbar war. Er sah aus wie ein Überbleibsel aus den Aerobic-Kursen der 80er Jahre nur, dass unter dem Anzug die Leggins und das Langarmshirt fehlten. Von ihren gar nicht so großen aber sehr prallen Brüsten waren eigentlich nur die Stellen bedeckt, die mit den Brustwarzen anfangen. An den Seiten war der Bikini offen und man konnte sehr gut ihre schlanken Flanken sehen. Nie im Leben hätte ich so einen Fummel für ein Foto für eine Website angezogen. Niemals hätte ich überhaupt den Mut gehabt, so ein Teil anzuziehen und in den Spiegel zu sehen! Hut ab, liebe Estefani!

Die Bademeisterin teilte also ihre Truppe nun munter fröhlich ein, während Estefani ihre Stellung schon gefunden hatte und unterschiedliche Posen und Gesichtszüge trainierte.

Foto mit allen Kindern für die Homepage: „So, keep smiling, ne?“

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