Eine Studie hat ergeben, dass Lehrer*innen schlechte Noten für Schüler*innen vergeben, wenn deren Namen so klingt als hätten sie einen Migrationshintergrund. Warum diskriminieren Lehrer*innen manchmal Schüler*innen mit sogenanntem Migrationshintergrund ohne das zu wollen? Warum ist die Kategorisierung in Schüler*innen mit und ohne Migrationshintergrund, neu zugewanderte Schüler*innen, Schüler*innen mit Sprachförderbedarf, DaZ-Förderschüler*innen usw. bereits ein Teil des Problems, ohne dass das so geplant war? Warum ist das Ganze ein Problem ohne erkennbaren Vorsatz? Warum ist das Teil eines institutionellen Diskriminierungsproblems?
An Schulen arbeitende Pädagog*innen habe qua Examen die Kinder, die Ihnen während der Unterrichtszeit anvertraut sind, im Blick. Zu diesem Blick gehört, dass sie stets beobachten, diagnostizieren und Lernarrangements schaffen, die für die individuellen Voraussetzungen der Schüler*innen optimal geeignet sind. Jede*r Lehrer*in hat qua Examen stets das Beste für die Kinder und Jugendlichen im Sinn. Aber, was das ist, das ist ein weites Feld. Schule ist Teil eines Systems. Und das System heißt Deutschland. Wenn es in einem Teil eines Systems ein Problem gibt, wirkt sich das auf das ganze System aus. Wenn es irgendwo im System einen Alarm gibt, wirkt sich das auf Teile des Systems aus. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass wenn eine AfD in Deutschland erstarkt, das Konsequenzen für die Schulen hat. Wer von uns glaubt wirklich, dass die AfD vor weiterführenden Schulen halt macht? Grundschulen sind hier ausgenommen, wer Grundschullehramt studiert, tickt völlig anders als die AfDler. Ausnahmen mögen die Regel bestätigen, aber mir sind keine Rechten in der Grundschule bekannt. Diskriminierung mag hier dennoch stattfinden, eben in dem staatlich anerkannten Maße. Nun firmiert das System Deutschland mit „Wir sind für Integration“. So gibt es in den Teilen des Systems die einen, die integrieren und die anderen, die integriert werden sollen. Wer genau oder was genau in wen oder was integriert werden soll, das sind untiefe Gewässer. Und Integration ist noch dazu ein zweites weites Feld. Optimale Förderung, gerne auch individuelle, und Integration, das macht schon zwei weite Felder. Zwei weite Felder, das klingt schwer nach Utopie. Folgen wir dem weiten Feld mal am Beispiel der Inklusion, die für mich das Ideal einer einer perfekten Integration wäre. Während die einen sagen, Kinder sind nicht behindert, sie werden behindert, behaupten die anderen, dass die Intelligenz bei den einen eben nicht ausreichend sei und sie deswegen unter einer Lernbehinderung leiden – Lernbehinderung, schon wieder so ein weites Feld. Sind Blinde also eingeschränkt fähig zu selbstständigen gesellschaftlichen Teilhabe, weil sie nicht sehen können, warum auch immer, oder weil die Gesellschaft, die Kommune, in der sie leben, keine Vorkehrungen getroffen hat, so dass Blinde leicht alleine mobil sein können. Langer Satz, langes Problem. Weites Feld eben. Jede Stadt kann sich auf die individuellen Bedürfnisse der Bürger*innen einstellen. Das ist eine Frage des Wollens und des Geldes. Klingt aber verdammt nach Utopie. Und trotzdem braucht ein Weg ein Ziel, auch wenn der Weg das Ziel ist.
Warum werden Murats Diktate also schlechter bewertet als die von Max? Diktate. Räusper. Wem haben Diktate jemals etwas gebracht? Den Lehrer*innen, weil sie so Ruhe in die Klassen bekommen haben. Zwanzig Minuten Stille können enorm konzentrationsförderlich sein. Denn jetzt mal ehrlich, wer kommt im Leben jemals in die Situation, einen Text diktiert zu bekommen, der handschriftlich niedergeschrieben werden soll? Klingt stark veraltet, oder? Hallo 2018! Hallo Kompetenzorientierung! Bei Diktaten geht es tatsächlich vielen Lehrer*innen darum, den Schüler*innen die richtige Rechtschreibung beizubringen. Das ist aber zum Scheitern verurteilt. Bei der Kompetenz des richtigen Schreibens geht es darum, dass Kinder, Jugendliche und übrigens Erwachsene egal welcher Kategorie tatsächlich richtig schreiben können. In Situationen, in denen sie etwas schreiben müssen. Klingt banal, aber ein Diktat funktioniert anders. Da schreibt niemand einen Text um des Schreibens Willen, sondern wegen der folgenden Benotung. Diktate können als Diagnose dienen, sind aber nur bedingt aussagekräftig. Es ist gut möglich, dass sowohl Max als auch Murat im Diktat Fehler machen, in einer echten Schreibsituation jedoch Texte fehlerfrei verfassen und im besten Fall selbst korrigieren können. Ich gehöre selbst zur Generation Diktat und ich korrigiere oft Texte dieser Vor-PISA-Generation. Von Erwachsenen, die qua Examen fehlerfrei schreiben. Die darauf schwören, dass Diktate ohne Fehler funktionieren müssen, damit die Rechtschreibung sicher ist. Tja, ich kann versichern, wer gut in Diktaten ist und behauptet gut rechtschreiben zu können, kann noch lange nicht fehlerfrei Texte verfassen. Und das ist übrigens nicht schlimm. Sprache und Schreiben haben sich mit gutem Grund immer weiterentwickelt. Sprache wird einfacher, weil sie komplexer wird. Wer findet, „Heute geh‘ ich Aldi!“ sei ein Teil des Sprachverfalls, mag Recht haben, aber Verfall kann optimistisch betrachtet der Abbau von unnötigem Ballast sein. Für eine Exil-Bayerin ist es erschreckend, dass NRW nach Aldi oder nach Tengelmann geht, während Bayern zum Aldi oder zum Edeka geht. Gehen also ein paar Menschen nur Aldi, so what? Die Message versteh‘ ich ja. Bei einer Sprachvereinfachung wir davon ausgegangen, dass sie nur von Deutschen vollzogen werden soll. Sei es auch die Sprache der Deutschen mit etwaigem Sprachförderbedarf. „Kannste“, „machste“, „biste“, „haste“, „woaßt“, „muaßt“, „wuist“ sind gesellschaftlich anerkannte Kontraktionen von Verb und Pronomen, aber „Ich geh Schimmbad.“ is nich. Da blicke einer durch. Klar, mit diesen Beispielen sind wir ins weite Feld abgedriftet, zurück zu den Schulen.
Ich behaupte, dass viele Lehrer*innen und allen voran die Grundschullehrer*innen in Murats Diktaten anders hinzuschauen, weil sie davon ausgehen, dass Murat ohnehin wegen seines Namens einer in der Mitte der Gesellschaft verwurzelten Diskriminierung ausgesetzt sein wird. Weil sie wollen, dass er besonders richtig schreiben kann, um es später allen zu beweisen. Ich behaupte, die Mehrzahl an Grundschulen tickt so. Das Kümmersyndrom kann zu Diskriminierung führen. Schlechte Noten zu vergeben, um Kinder und Jugendliche zu motivieren, geht nach hinten los. Auch wenn es gut gemeint war. Naiv bin ich nicht. Es gibt die anderen niederen Beweggründe. Die Abgründe. Die Lehrer*innen, die Noten missbrauchen. Problematisch ist, dass beides in der Summe zum gleichen Ergebnis führt. Bekämpfen müssen wir aber die niederen Beweggründe. Bei den anderen hilft eine Fortbildung. Wenn einer dieser niederen Beweggründe rassistisch ist, dann kann Schule die Haltung dieser Lehrperson eher hat verändern. Das muss ein anderer Teil im System übernehmen. Aber das Schule als Teil kann Rahmenbedingungen schaffen, die eine Teilsumme der Schule, die Schüler*innen, vor Machtmissbrauch schützt.
Wer schlecht rechtschreibt, braucht eine Förderung. Aber wenn Murat und Max bei gleicher Leistung unterschiedliche Noten bekommen, ist das nicht mal neu. Bildungsforscher*innen fordern seit Jahren alternative Formen der Leistungsmessung und die anonyme Korrektur. Die ist leider an der schulischen Realität vorbei gedacht. Lehrer*innen erkennen die Schüler*innen spätestens nach der 3. Klassenarbeit an der Schrift. Alle Ideen für eine diskriminierungsfreie Schule sind ausgedacht und liegen auf dem Tisch. Einzig an der Umsetzung hapert es. Die Umsetzung lautet, Abschaffung aller institutionellen Diskriminierungen. Noten sind ein elementarer Teil davon. Weg damit. Klingt nach Utopie? Ja stimmt. Die, wie jüngst von Felix Banaszak geforderte Infragestellung der Noten, ist realitätsfern und mutig zugleich. Die deutschen Schulen sind noch nicht so weit. Und das ist schlecht. Die Abschaffung der Noten kann Diskriminierung verringern und das wäre unbedingt angebracht. Ich verpasse es nicht, auch an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Sechser-Noten-Skala 1933 eingeführt worden ist. Und wir wissen, wie integrativ das Schulsystem 1933 gewesen ist. Wir haben so Vieles aus dieser Zeit abgeschafft und bessere, integrativere Formen gefunden. Lasst es uns bei der Leistungsmessung auch versuchen! Das ist es wert, denn es ist das Letzte, was bleibt und übrigens kostenneutral ist. Dann heißt es auf dem Zeugnis, Murat muss zwar das Dehnungs-h in Diktaten noch trainieren, in freien Texten schreibt er aber überwiegend fehlerfrei. Und bei Max, Max schreibt in Diktaten stets fehlerfrei, sollte bei Textproduktionen noch auf die Anwendung der erlernten Rechtschreibregeln achten. Also, lasst uns mutig sein und die Noten abschaffen! Ich bin dabei.
P.S. In dem Text sind zehn Orthographiefehler. Finde und markiere sie! 😉