Schwimmbadgeschichten, 9. Kapitel

Halitosis

Auf einer Skala des Ekels steht direkt neben den Schwimmwindeln von Kleinkindern der Mundgeruch der anderen.

Gerade beim Schwimmen ist Atmen wirklich wichtig. Die Atmung (lateinisch respiratio, -onis) bezeichnet, den Gasaustausch zwischen dem Ort, an dem man sich befindet und Blut, Blut und Zelle. Und den Transport des Gases durch den Körper. Was auch immer die Quellen Wikipedia oder Google oder Yahoo dazu erläutern: Wer nicht atmet, stirbt, oder ist schon tot. Deswegen ist atmen so wichtig. In Situationen besonderer Nähe kann es sein, dass des einen Atems des anderen Erstickungsgefahr ist. Wer den Mundgeruch eines anderen einatmet, droht unter Inkaufnahme von Lebensgefahr selbst das Atmen einzustellen. Nun dem jeweils Mundgeruch Habenden zu wünschen, er würde nicht mehr atmen, wäre als wünschte man ihm oder ihr den Tod an den Hals.

Mundgeruch ist ein weit verbreitetes Phänomen in Schwimmbädern, von dem vor allem die betroffen sind, die schnell schwimmen, weil sie viel und häufig einatmen müssen.

Mundgeruch hat viele Gesichter. Es gibt den freundlichen, lächelnden, der nach Minze und frisch geputzten Zähnen daherkommt. Es gibt den schönen, der unschuldig nichts sagend daher kommt, der sich nur in einem Hauch manifestiert und doch die Spur eines Geruchs nach einem Fishermens Friend oder Em-Eukal Bonbon im eigenen Mund hinterlässt. Nicht zu vergessen, dass Schnellschwimmende regelmäßig tief einatmen, sehr tief, mit weit aufgerissenem Mund beim Kraulen oder Tauchen, den lebensnotwendigen Sauerstoff tief durch den Hals und den gesamten Körper in die Lungen einsaugen. Es gibt den Fauligen, den Stinkenden, den Giftigen, den besoffen Machenden, es gibt sie alle. Sie wollen nicht entdeckt werden, niemand möchte, dass man den individuellen ganz persönlichen Mundgeruch findet. Niemand will Mundgeruch haben und jeder hat ihn. Wrigleys, Fishermens, TicTac, sie alle machen ein Riesen-Business damit. Wer ins Schwimmbad geht, schwimmt darin. Und in vielen anderen Sachen, über die nachzudenken nur zu akuter Übelkeit führt. Übrigens habe ich gerade heute eine Frau mit beneidenswerten Dreadlocks gesehen. Ihr politisches Statement war wohl eindeutig, denn sie war weiß und ihre Dreadlocks blond. Das kann man jetzt Afrikanismus als Pendant zu Orientalismus interpretieren. Rosa Parks hätte sich gewundert, aber lassen wir das. Wie auch immer, ihre Dreadlocks gingen bis zu diesem Wadenmuskel, der bei Menschen, die viel Radfahren, Gehen oder Laufen bretthart hervorsticht, wie ein gutes Stück einer lecker gebratenen Martinsgans, die so appetitlich serviert wird, dass nur ein gut kontrollierter Geist davon abzuhalten ist, einfach genüsslich und ungeniert hineinzubeißen. Ich stand unter der Dusche, unter der Dusche vor dem Schwimmen. Die sanitären Anlagen sind natürlich gleich, aber es gibt einen Unterschied zwischen dem Duschen vor dem Schwimmbadbesuch und der entspannten duschenden warmen Belohnung nach getaner Anstrengung. Vor dem Schwimmbadbesuch duscht jeder. Abweichungen lasse ich in meiner Vorstellung nicht zu. Das wäre zu schmutzig. Ich duschte, ja reinigte mich also wie immer vor dem Schwimmen und sah diese Frau mit den Dreadlocks, die sogar ihren Knackpo komplett versteckten. Mir fiel ein, dass wir am Gymnasium ein Mädchen hatten, das irgendwann beschlossen hatte, nur noch in selbst gestrickten Ringelsocken oder barfuß herumzulaufen – sie ist sogar bei der Zeugnisübergabe nach dem Abitur barfuß aufs Podium gestiegen, allerdings ohne irgendeine Provokation darzustellen, da ja alle Lehrerinnen und Lehrer Alt-68er waren, die sich nach Statements wie diesem mindestens sehnten – , die bis heute in einem Wohnwagen, der mittlerweile in der Hauptstadt steht, mit ihrem Mann und drei Kindern lebt und damals plötzlich auch Dreadlocks hatte. In meiner Erinnerung sagte sie, dass sie ihre Dreadlocks nur mit Kernseife waschen könne, weil Dreadlocks eigentlich nicht gewaschen werden dürften, sie jedoch die ganzen kleinen Tierchen, die sich in ihren Dreads beim Fahradfahren sammelten, herauswaschen wollte, weil sie Angst vor Läusen oder Motten hätte. Unter der Südbaddusche stehend hatte ich also die Assoziationen: Kernseife, Läuse, Motten. Ich war weder überrascht, noch erschrocken als mir aus der Richtung ihres Duschpatzes kommend ein Insekt entgegengeflogen kam. Vielmehr dachte ich: „Aha.“ Da war das Tier auch schon unter meinen Vor-dem-Schwimmen-Duschstrahl geraten und verendet. Es war so klein, dass ich seinen Abschied von der sauerstoffhaltigen Welt nicht bis in den Abfluss verfolgen konnte. Vor allem war ich beeindruckt. Meine Mitschülerin hatte recht: In Dreadlocks leben Motten. Ein sozialer Wohnungsmarkt für Motten. Motten und Mundgeruch kommen selten allein daher. Dahinter steht ein Mensch, der für mancherlei Gerüche selbst verantwortlich ist. Es gibt den Kaffee-Mundgeruch von denen, die ihren Kaffee gerne schwarz trinken, bei dem sich unter den wohlriechenden Duft nach gemahlenen Kaffeebohnen ein Hauch von Magensäure geschlichen hat. Krass sind die, die vor dem Schwimmbad noch schnell eine Zigarette rauchen. Das ist so richtig widerlich. Verdauter Qualm mit Chlor. Andere riechen nach Odol oder Dentgard, das ist angenehmer, aber dahinter steckt ein Geruch, den es durch das Mundwasser zu vertuschen gilt. Viele scheinen sich nach der Dusche vor dem Schwimmen mit Deo einzusprühen. Es gibt dieses 24h-intensiv Deo Spray for men von Aldi. Pah! Dann lieber Schweißgeruch! Der nicht bessere Klassiker ist 4711 Köllnisch Wasser bzw. Eau de Cologne, allerdings ist die ganze Bandbreite von Betty Barclay bis Bruno Banani über Old Spice und Davidoff Cool Water Woman viel beliebter. Es gibt im Schwimmbad eine Frau, die Haare wie ein Pudel hat, die Casmir trägt, diesen Duft, der ziemlich penetrant nach einem heißen Date in einem vorgeheizten Badezimmer mit anthroposophisch goldenen Wänden und einer frei stehenden Badewanne bei Kerzenschein mit fest verschlossenen Fenstern duftet. Beim Schnellschwimmen passiert es, dass wer auch an dieser Frau durchs Wasser vorbeiflitzt die Quintessenz von Casmir inhaliert und diesen schweren Duft nach rauchigen Abenden mit Hochprozentigem erst unter der Dusche abbekommt. Wer versucht, den Geruch auszuspucken, klingt unter Wasser wie ein Erstickungsanfall und lässt ziemlich komische Luftblasen aufsteigen. Die Casmir-Trägerin gehört zu denen, die immer vor dem Schwimmen beim Hair Styling sind und vermutlich die Tage bis zum nächsten Termin beim Hair Artist mit einer stoßdämpfenden Haube schlafen. Diese Frauen spielen in einer anderen Liga als ich und ich würde ihnen niemals in meinem Alltag begegnen. Bei diesen Frauen würde mich das auch nicht im Geringsten stören. Ich erschrecke jedes Mal, wenn ich einem nach Raum stinkenden Mann mit Brüsten, der im Wasser schon aussieht als käme er von einem anderen Planeten, in real life begegne. Das können unter Umständen Gestalten sein, wie sie nur hier in den westlichen Gefilden und in Romanen von Frank Goosen entstehen können. Vokuhila, geripptes Unterhemd, verwaschene Jeansjacke, Jeans mit Löchern in einer ähnlichen hellen Farbe und Cowboyboots, die am Kiosk rauchend stehen, zahnlos lachen und sich eine Flasche Paderborner oder Köpi bestellen. Ich fürchte, sie kommen ins Südbad, um sich dort zu waschen.

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